Millionenförderung für zwei Heidelberger Wissenschaftlerinnen

Prof. Rohini Kuner und Prof. Hannah Monyer, beide an der Medizinischen Fakultät Heidelberg, erhalten jeweils einen mit 2,5 Millionen Euro dotierten ERC Advanced Grant. Kuner erforscht die Entstehung chronischer Schmerzen, Monyer sucht nach neuen Erklärungsansätzen bei der Entstehung von neurodegenerativen Erkrankungen.

Wie wir Schmerzen bewerten, hängt unter anderem von der Situation, Erfahrungen oder Ängsten ab. Diese „Gemengelage“ spiegelt sich in einer nahezu unübersichtlichen Verknüpfung der betreffenden Nervenbahnen im Gehirn. Wie sich die zellulären Netzwerke der Schmerzverarbeitung von denen anderer sensorischer Wahrnehmungen und kognitiver Funktionen unterscheiden, von diesen beeinflusst werden und was sich bei chronischen Schmerzen verändert und wie es rückgängig gemacht werden kann, möchte Prof. Rohini Kuner, Geschäftsführende Direktorin des Pharmakologischen Instituts an der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg, in den kommenden fünf Jahren mit ihrem Team erforschen.

„Trotz wichtiger Erkenntnisse der letzten Jahre ist es nach wie vor ein ungelöstes Rätsel, unter welchen Bedingungen Schmerzen chronisch werden. Es fehlen noch zu viele Puzzleteile, um das Gesamtbild zu verstehen“, erläutert Kuner, die im vergangenen Jahr mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet wurde. In dem nun geförderten Projekt PAIN ENSEMBLES will sie über die schmerzverarbeitenden Netzwerke in der Großhirnrinde hinausschauen und herausfinden, wie Sinneswahrnehmungen, Empfindungen und Erfahrungen diese beeinflussen und so eventuell einen Beitrag leisten, dass Schmerz sich verstetigt. „Wir wissen noch unzureichend, wie sich Schmerzen auf der zellulären Ebene von anderen sensorischen Wahrnehmungen und Gefühlen unterscheiden. Gleichzeitig verstehen wir bisher kaum, wie psychologische, soziale und umweltbedingte Einflüsse die Netzwerke und Mechanismen der Schmerzverarbeitung dauerhaft verändern“, berichtet die Pharmakologin.

Erst verstehen, dann umkehren

Sie geht davon aus, dass bestimmte Nervenzell-Netzwerke der Großhirnrinde, die strukturell und funktionell miteinander verknüpft sind, dazu dienen, Schmerzen einzuordnen und zu bewerten. Das könnte je nach Kontext und aktueller Verfassung des Lebewesens flexible Anpassungsmechanismen ermöglichen und auf diese Weise auch frühere Schmerzerfahrungen, Angstgedächtnis und Erwartungen einfließen lassen. Ziel ist es, diejenigen Zellverbünde zu identifizieren, die Schmerzen von anderen Wahrnehmungen und Einflüssen abgrenzen, und herauszufinden, wie diese sich zusammensetzen und untereinander vernetzt sind. „Vor allem wollen wir sehen, wie sich diese Zellensembles verändern, wenn aus akutem ein chronischer Schmerz wird, und ob Erwartungs- und Angstgedächtnis die Chronifizierung fördern“, erklärt Kuner.

Auf diesen Ergebnissen aufbauend wird das Team prüfen, ob sich die veränderten Nervenzellverschaltungen durch nichtinvasive Neurostimulation und Verhaltensansätze umkehren lassen und sich damit chronischer Schmerz lindern lässt. Hierfür kommen modernste mikroskopische Techniken, wie unter anderem die Multiphotonen-Bildgebung an lebendem Nervengewebe, elektrophysiologische Aktivitätsmessung neuronaler Netzwerke, genetische Einzelzell-Analysen und detaillierte Verhaltensanalysen an Mäusen zum Einsatz.

Schrittmacherzellen im Gehirn steuern Gedächtnis

Der Hippocampus gilt als Bereich des Großhirns, in dem neue Gedächtnisinhalte entstehen. Gesteuert wird die Aktivität des Hippocampus durch eine kleine Hirnregion, die als Septum bezeichnet wird. Bestimmte hemmende Neuronen des Septums gelten als „Schrittmacherzellen“: Sie erstrecken sich bis in die Strukturen des Hippocampus, wo sie die Aktivität neuronaler Ensembles synchronisieren und kognitive Leistung ermöglichen. Prof. Hannah Monyer hat Anhaltspunkte dafür, dass die Septum-Neuronen mit der Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen im Zusammenhang stehen. Sind diese Nervenzellen geschädigt, so sind unter anderem die räumliche Erinnerung und das episodische Gedächtnis beeinträchtigt. In verschiedenen Tiermodellen für neurodegenerative Erkrankungen wurde eine erhöhte Empfindlichkeit der Septum-Neuronen beobachtet. Sie gelten als sehr „störanfällig“, denn sie feuern mit hoher Taktung und sind daher außerordentlich hungrig nach Energie. Es gibt Hinweise darauf, dass Schädigung der energieproduzierenden Mitochondrien hinter dieser Störanfälligkeit steckt.

Neuer Ansatz zur Therapie neurodegenerativer Erkrankungen

In ihrem vom ERC über vier Jahre mit zwei Millionen Euro geförderten Projekt will Monyer untersuchen, wie sich ein Funktionsverlust der Septum-Neuronen auf die Gedächtnisbildung im nachgeschalteten Hippocampus auswirkt und welche zellulären Mechanismen dahinterstecken. Was macht die Septum-Neuronen so anfällig? Sind es tatsächlich mitochondriale Defekte? Damit wollen Monyer und ihr Team herausfinden, welche Rolle diese speziellen Neuronen bei der Symptomatik in den Anfangsstadien neurodegenerativer Erkrankungen spielen und damit einen möglichen neuen Ansatzpunkt für therapeutische Interventionen darstellen könnten.

Quelle
Universitätsklinikum Heidelberg
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